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nhalt
Da der Leser nun mit der Geschichte (Nord-) Irlands vertraut ist und die Zusammenhänge in ,,Cal besser verstehen kann, wende ich mich dem Roman zu. Im Zentrum der Handlung steht ein katholischer Junge, der gegen seinen Willen in den Strudel der Gewalt in Nordirland hineingezogen wird und untergeht. Der 1-jährige, arbeitslose Cal Mc Cluskey und sein Vater Shamie leben als letzte verbliebene Katholiken in einem typisch protestantischen, ziemlich trostlosen Viertel. Einziger größerer Arbeitgeber ist ein Schlachthof, bei dem fast alle Männer - so auch Shamie - arbeiten. Cal hat den Job nach wenigen Tagen zur großen Enttäuschung seines Vaters aufgegeben, weil er den Gestank und die Gewalt im Schlachthaus nicht ertragen konnte. Nun schlägt er alleine seine Zeit tot, da er als Katholik in einem protestantischen Umfeld weder Aussichten auf eine andere Anstellung noch Freunde hat. Der einzige Gleichaltrige, zu dem Cal Kontakt hat, ist sein ehemaliger Schulfreund Crilly, der Mitglied in einer republikanischen paramilitärischen Organisation ist. Kopf dieser Terrorgruppe ist Skeffington, ein fanatischer Nationalist , der für seine Ziele über Leichen geht. Wahrscheinlich auf sein Geheiß hin wurde von Crilly Robert Morton, ein Mitglied der Royal Ulster Constabulary (RUC), der nordirischen (antikatholischen) Polizei, ermordet. Auch Cal war als Fahrer des Fluchtautos in den Mord verwickelt. Der Gedanke an die Bluttat und seine Schuld quält und verfolgt ihn bis in seine Träume.
Als in der Bücherei, die Cal aus Langeweile öfter besucht, eine neue Bibliothekarin arbeitet und sich herausstellt, dass diese die Witwe des erschossenen Polizisten ist, fühlt Cal sich zu der um Jahre älteren Frau, ihr Name ist Marcella, hingezogen; zunächst nur von Schuldgefühlen getrieben, beginnt er, sie zu beobachten, sucht ihre Nähe. So entsteht ein loser Kontakt zwischen den beiden, der sich vertieft, als Cal auf dem Bauernhof ihrer Schwiegereltern, wo auch Marcella lebt, Arbeit findet.
Als radikale Protestanten das Haus der Mc Cluskeys niederbrennen, zieht Cal heimlich in die verfallene Hütte auf dem Morton-Gelände. Nicht einmal seinem Vater Shamie vertraut er seinen Aufenthaltsort an und lässt den durch den Verlust des Hauses gebrochenen Mann allein zurück. Cal hofft, durch sein spurloses Verschwinden vor den Nachstellungen Crillys und Skeffingtons sicher zu sein, die ihn zu einem Verbleib in der Terrorgruppe und zu weiteren ,,Aktionen zwingen wollen.
Als Cals Versteck von den Mortons entdeckt wird, hat er Glück, denn Marcella hat Mitleid mit dem ausgebrannten jungen Mann und überredet ihre Schwiegermutter, ihn in der Hütte wohnen zu lassen. Die beiden sehen sich oft und werden immer vertrauter, da die Witwe Cal beim Einrichten seiner neuen Bleibe behilflich ist.
Allerdings entsteht damit auch ein Problem für Cal. Denn je näher sich Cal und die Witwe kommen, je stärker seine Gefühle für die ahnungslose Frau werden, desto schlimmer quält ihn seine Schuld. Als Mrs Morton ihren Mann, der bei dem Überfall damals schwer verletzt wurde, für einige Tage ins Krankenhaus begleitet und Cal und Marcella so allein auf dem Hof zurück bleiben, werden die beiden nach anfänglichem Zögern Marcellas ein heimliches Liebespaar.
Doch das Glück währt nicht lange. Als Cal am Morgen nach der Liebesnacht in die Stadt fährt, um Weihnachtsgeschenke für Marcella und deren Tochter Lucy zu besorgen, wird er von Crilly entdeckt, der gerade eine Bombe in der Bücherei versteckt hat. Die Lage ist für Cal bedrohlich, da Crilly und vor allem der schnell herbei geeilte Skeffington Cal als einen Verräter an der ,,Sache und Deserteur betrachten und ihn auch dem entsprechend bestrafen wollen. Aber dazu kommt es nicht mehr. Bei einer Razzia werden Crilly und Skeffington verhaftet, Cal gelingt die Flucht. Ihm ist aber klar, dass seine Tage in Freiheit gezählt sind, weil seine ,,Kameraden ihn verraten werden. Cal findet endlich den Mut, endgültig mit der Terrororganisation zu brechen. Über eine sog. ,,confidential line warnt er vor der Brandbombe in der Bücherei und verabschiedet sich von Marcella. Am nächsten Morgen wird Cal Mc Cluskey verhaftet.
Die Romanfiguren und der Nordirlandkonflikt
Die zerstörerische Wirkung des Konflikts verdeutlicht der Autor v.a. an Hand seiner Hauptpersonen.
Die Auswirkungen des Konflikts auf den Protagonisten
Besonders der Titelheld Cal Mc Cluskey wird von den nordirischen Verhältnissen geprägt. Dabei hat der junge Mann es auch ohne die vertrackte politische Lage schon schwer genug. Seine Mutter starb an einer Gehirnblutung, als der Junge acht Jahre alt war. Auch sein Bruder Brendan, von dessen Existenz der Leser nur in einem Nebensatz erfährt, ist tot. Seine Mutter fehlt Cal sehr. Auch als fast erwachsener Mann kommen ihm beim Gedanken an sie die Tränen.
Cal lebt allein mit seinem spröden Vater Shamie, der ihm die Mutter nicht voll ersetzen kann. Obwohl er seinen Vater liebt, fehlt das Vertrauen mit ihm über seine Verstrickung in den Mord an Morton zu reden. Man kann also sagen, dass Cal der Rückhalt aus einer intakten Familie fehlt und sein Vater keine wirkliche Vertrauensperson ist.
Aber wie gesagt hat vor allem der Nordirlandkonflikt verheerende Auswirkungen auf den Jungen. Auf der einen Seite ist Cal ein Opfer der fest gefahrenen Lage in Nordirland, da er und sein Vater die letzten verbliebenen Katholiken in einem protestantischen Arbeiterviertel sind. Ihre Konfession macht sie zu Außenseitern und grenzt sie vom sozialen Leben weitgehend aus.
Als Katholik ist Cal quasi zur Arbeitslosigkeit verurteilt und hat kaum Chancen auf eine Stelle; es bereitete Shamie schon genug Probleme seinen Sohn einen Job im Schlachthof zu verschaffen, in dem laut Shamie ,,few enough Catholics arbeiten. Nach Cals Kündigung stehen seine beruflichen Chancen so schlecht, dass er sogar überlegt wegzuziehen. Seine Arbeitslosigkeit spiegelt haargenau die Situation vieler nordirischer Katholiken wider und bestätigt die bereits im geschichtlichen Teil angesprochene Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt.
Die politische Lage in Nordirland macht Cal nicht nur zu einem Arbeitslosen ohne Perspektive, sondern macht ihn und seinen Vater auch zum Ziel von Anfeindungen. Schon früh muss der junge Mann erfahren, was Vorurteile und offene Feindseligkeit bedeuten ,,As he turned into his street he felt the eyes on him. [...] He could not bear to look up and see the flutter of the Union Jacks, and now the red and white cross of the Ulster flag with ist red hand...Cal felt it was aimed at them, the Mc Cluskeys, because his father andhe were the only Catholic family left in the whole estate... Cal detested the condescension of some of the Protesant men he met about the town. `You`re Shamie Mc Cluskey`s boy? A good man, Shamie.`And implied in everything they were saying was `for a Catholic `.There was faint affectionate amazement on their faces that there should be a Catholic who was a good man, someone to equal them. In dieser bis auf einige Ausnahmen offen feindseligen Umgebung ist Cal isoliert, wie er später Marcella erzählt. Als sie ihn fragt, ob er viele Freunde habe, antwortet er ,,'No, not many.`4 Der Hass zwischen den Angehörigen der Konfessionen nimmt ihm die Möglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen, was für jeden jungen Menschen enorm wichtig ist.
Doch einigen Protestanten sind Anfeindungen und Ausgrenzung noch zu wenig. Ihr Hass beschränkt sich nicht auf mehr oder weniger offene Diskriminierungen. Cal und sein Vater sind auch Drohungen und Gewalt ausgesetzt. Sie erhalten Drohbriefe der loyalistischen Terrorgruppe Ulster Volunteer Force. Cal wird von jungen Unionisten brutal zusammengeschlagen und entkommt nur mit knapper Not. Als trauriger Höhepunkt werden die Mc Cluskeys auch noch Opfer eines Brandanschlags, ihr Haus wird ein Raub der Flammen. Der Verlust seines Rückzugsortes wirft Cals Vater völlig aus der Bahn, so dass er schließlich als gebrochener Mann in eine Nervenklinik eingeliefert werden muss. Mit dem Haus verliert Cal also auch seinen Vater. Er ist eindeutig ein Opfer der Verhältnisse in Nordirland.
Seine Opferrolle macht Cal tragischer Weise auch zum Täter. Als die Mc Cluskeys zum ersten Mal bedroht werden und Shamie seinen Kollegen davon erzählt, bietet ihm prompt Crilly zum Selbstschutz einen Revolver an, welchen Cals Vater dankbar annimmt. Dieser Crilly, ein ehemaliger Schulfreund Cals, gehört einer republikanischen paramilitärischen Organisation an und hilft nicht aus purer Nächstenliebe. Quasi als Gegenleistung werden im Haus der Mc Cluskeys ,,cardboard boxes full of stuff [...] wrapped in sacking and black polythene [...]5 versteckt, also Operationsmittel der Terrorgruppe. Außerdem muss Cal als Fahrer fungieren, wenn diese Päckchen weitergeleitet werden. Doch bei solch eher harmlosen Aktionen bleibt es nicht. Cal lässt sich tief in die mörderischen Machenschaften der Organisation hineinziehen und wird somit zum Täter. Er sitzt am Steuer des Fluchtwagens, als Crilly den protestantischen Polizisten Robert Morton erschießt.
Seine Beteiligung an dem Mord hat schwerwiegende Folgen für Cal.
Die Erinnerung daran verfolgt und quält den jungen Mann; er wird mit seiner Schuld nicht fertig. Unaufhörlich zermartert er sich den Kopf ,,[...] to eat again the ashes of what he had done.6. Die Schuld ist sein ständiger Begleiter, er fühlt sich durch die Tat gezeichnet ,,He felt that he had a brand stamped in blood in the middle of his forehead which would take him the rest of his life to purge.7
Seine permanenten Schuldgefühle haben eine verhängnisvolle psychische Wirkung auf den jungen Mann. Er steigert sich in einen regelrechten Selbsthass hinein. Cal ist, wie es im Roman drastisch formuliert wird, ,,sick of himself8. Dies wird an einigen Stellen des Romans überdeutlich. Eine seiner ,,Freizeitbeschäftigungen ist z.B., sich selbst aufs Übelste zu beleidigen. Um passende Schimpfnamen für sich selbst zu finden, bietet Cal all seine Kompetenz in Fremdsprachen auf ,,Dirty vache. You big crotte de chien. Sogar einen Großteil seiner Kirchenbesuche verbringt er auf diese Weise ,,The rest of his prayers consisted of telling himself how vile he was. If he was sick of himself, how would God react to him?Merde. Dog-shit. Crotte de vache` 0
Besonders schlimm quält ihn seine Schuld immer dann, wenn er mit Marcella zusammen ist. In ihrer Gegenwart sieht er noch klarer, wie schwer seine Tat wiegt ,,Sometimes in her presence he felt like Quasimodo - as if the ugliness of what he had done showed in his face. The brand in the middle of his forehead would never disappear and seemed to throb when she was near. Alone [...] he relaxed into his ugliness.1 Seine Vergangenheit treibt Cal in einen ständigen Zwiespalt, der ihn zu zerreißen droht. In Marcella hat er endlich die Frau gefunden, mit der er über wirklich alles reden möchte, auch über das, was er getan hat. Zu gerne würde er ihr sein Herz ausschütten und sich alles von der Seele reden ,,He wanted to confess to her, to weep and to be forgiven. He saw the scene in his mind of her holding him, comforting him; he saw the scene as he knew it would be in reality and it horrified him. Doch gleichzeitig weiß der junge Mann, dass ein Geständnis unmöglich ist und ihre Beziehung zerstören würde. Die Liebe zu der arglosen Witwe bringt Cal in eine Art Teufelskreis. Je schlimmer ihn die Erinnerung an den Mord quält, desto größer ist wiederum das Bedürfnis ihr zu beichten. Dieser Zustand belastet Cal so sehr, dass er am Ende sogar erleichtert wirkt, als er verhaftet wird. Er ist ,,grateful that at last someone was going to beat him within an inch of his life.
Der Mord an Morton hat noch andere Konsequenzen. Cal versucht endlich aus der Terrorgruppe auszusteigen. Deshalb wird er von Crilly und Skeffington, dem Kopf der Bande, unter Druck gesetzt ,,`I still want out.` [Cal said] Skeffington put his hand on Cal`s sleeve.` That creates a big problem, Cahal. It would be out of my hands. I wouldn`t like to see you hurt.`4. Trotzdem ist Cal lange Zeit nicht hartnäckig und entschlossen genug, sich gegen Crilly und Skeffington durchzusetzen und gibt den Argumenten und Drohungen des raffinierten Rhetoriktalents Skeffington immer wieder nach. So lebt er bis zum Schluss in ständiger Angst, zu neuen Verbrechen gezwungen zu werden.
Wie viele Nordiren ist Cal also gefangen in der festgefahrenen und verhärteten Situation seiner zerrissenen Heimat. Die dortigen Verhältnisse lassen ihm keine große Entscheidungsfreiheit, gegen seinen Willen und sein Gewissen wird er in den blutigen Konflikt hineingezogen, der das Leben und die Zukunft der Menschen zerstört. Ein Sich-Heraushalten scheint unmöglich, geschweige denn ein ruhiges Dasein an der Seite der Frau, die er liebt. Cals Schicksal steht damit symbolisch für die Hoffnungslosigkeit einer ganzen Region und die brutalen nordirischen Verhältnisse, die auch Friedfertigen keinen Ausweg lassen.
Shamie und der Nordirlandkonflikt
Mit ähnlichen Problemen wie sein Sohn hat Shamie, Cals Vater, zu kämpfen. Er hat seine Frau und seinen Sohn Brendan verloren. Seit dem Tod seiner Frau muss er als allein erziehender Vater den Alltag bewältigen und versuchen, dem Sohn die Mutter zu ersetzen, was nicht immer leicht für ihn ist. Da es ihm schwer fällt über Gefühle offen zu reden, zeigt er im Umgang mit seinem Sohn selten, wie wichtig Cal für ihn ist. Trotzdem ist ihr Verhältnis von verhaltener, spröder Zuneigung geprägt, die ohne viele Worte auskommt. Dies kann man aus Begegnungen zwischen Vater und Sohn erkennen, z.B. als beide, nachdem sie den zweiten Drohbrief radikaler Protestanten erhalten haben, nicht schlafen können und mitten in der Nacht in Shamies Zimmer sitzen und Tee trinken ,,'Thanks, Cal,` he [Shamie] said when he got his tea. He said it quietly and Cal, for some reason, was moved. The bedside light shone downwards, accentuating the shadows of Shamie's face, making him look older than he was.[...] Shamie looked at him and said. `Put my jacket on or you`ll freeze.` 15 Diese leisen Gesten zeigen, mit wieviel gegenseitiger Achtung, Rücksichtnahme und Zuneigung sich die beiden gegenüber stehen.
Auch auf Shamie wirft der Nordirlandkonflikt seinen Schatten, obwohl sein Verhältnis zu Protestanten auf den ersten Blick recht entspannt wirkt. Mit den Nachbarn kommt er gut aus, sogar mit dem eingefleischten Oranier Cyril Dunlop plauscht er freundlich. Für einen Katholiken ist Cals Vater bei den Protestanten angesehen. ,,He is popular with both Catholics and Protestants...6 steht im Anhang der Penguin-Ausgabe von ,,Cal über ihn zu lesen.
Doch im Laufe der Handlung zeigt sich, dass das Verhältnis nur oberflächlich so gut ist, wie es zunächst den Anschein hat. Alltäglich, besonders an seinem Arbeitsplatz bekommt Shamie die Herablassung seiner protestantischen Kollegen zu spüren. Diese bezeichnen ihn zwar alsgood man`7 , doch unterschwellig schwingt immer mitfor a Catholic` 8. In diesem ,,Lob steckt eine nur schlecht versteckte Diskriminierung. Dazu kommen Ungerechtigkeiten und Drohungen, denen er und sein Sohn beinahe schutzlos ausgeliefert sind, wie z.B. die Drohbriefe durch die UVF. So hat Shamie eine beinahe hilflos wirkende antibritische Haltung angenommen. England sei ,,'rotten to the core`` , wird er nicht müde zu sagen. Den Überfall auf Cal, der wohl mangels Aussichten auf Ermittlungserfolge nicht einmal angezeigt wird, kommentiert Shamie ohnmächtig und verbittert mit den Worten ,,'And they say it's a free bloody country.` 40 . Der Autor zeigt an Shamies Beispiel die in den siebziger Jahren alltägliche Diskriminierung der Katholiken, die zu Bitterkeit und Misstrauen gegenüber dem Staat, der Polizei und somit den Protestanten führten.
Obwohl Cals Vater wohl die alltägliche ,,Dosis Verachtung verletzt und verbittert, würde er nie auf den Gedanken kommen, deswegen zur Waffe zu greifen. Dies zeigt sich daran, wie er mit der Pistole verfährt, die Crilly ihm und Cal nach dem ersten Drohbrief zukommen lässt. Er benutzt sie ausschließlich zur Verteidigung, d.h., er kramt sie nur hervor, wenn er sich - z.B. durch eine erneute Drohung der UVF - akut gefährdet fühlt.
An der Reaktion auf die Drohungen der Ulster Volunteer Force, einer loyalistischen Terrororganisation, die die Mac Cluskeys aus dem Viertel jagen will, zeigt sich ein Charakterzug Shamies, der sich als verhängnisvoll erweist. Er ist extrem stur und nicht gewillt, sich dem Druck zu beugen. Er besteht darauf, in dem Haus zu bleiben, an dem er mit jeder Faser seines Herzens hängt und mit dem zahlreiche Erinnerungen, wohl v.a. an seine Frau, verbunden sind ,,Fear had driven the others out but his father would not move. He was stubborn at the best of times but if he thougt pressure was being applied to him he was ten times worse. `No Loyalist bastard is going to drive me out of my home. They can kill me first.`41 Für diese Unbeugsamkeit muss Shamie mit dem Verlust seines Hauses bezahlen. Der Verlust seines Rückzugsorts und der damit verbundenen Erinnerungen nimmt ihm nicht nur die Existenz, sondern wirft den alten Mann völlig aus der Bahn. Shamie verfällt zusehends, wird gleichgültig und depressiv ,,The minute Cal saw his father he knew there had been a terrible change in him. The man had aged twenty years in a couple of weeks. He sat in Dermot Ryan`s chair, his arms lying limply on the arm-rests. The flesh of his face had almost disappeared and what was left seemed to have slipped and sagged.4 Shamies Verfall schreitet schließlich so weit fort, dass er in eine psychatrische Anstalt eingeliefert werden muss.
Shamie ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein völlig Unschuldiger, der sich aus dem Konflikt heraushalten will, an dem unmenschlichen Hass in der nordirischen Gesellschaft zerbricht. Durch Shamie führt Mac Laverty dem Leser vor Augen, dass der Nordirlandkonflikt nicht unbedingt Bomben braucht, um Menschen zu zerstören.
Marcella - die Witwe
Eine Figur, die den Nordirlandkonflikt aus einem anderen Blickwinkel erlebt, ist Marcella, die Witwe des erschossenen Polizisten.
Die Situation ist für die Mutter einer kleinen Tochter nicht leicht. Trotz der politischen Lage hat sie als Katholikin einen Protestanten geheiratet und damit bewiesen, dass sie über den Vorurteilen und eingefahrenen Denkweisen steht. Sich so über die gesellschaftliche Situation hinwegzusetzen erforderte mit Sicherheit Mut. Allerdings muss sie erfahren, dass ein echtes Miteinander von Katholiken und Protestanten schwierig ist. Denn die Familie und die Freunde ihres Mannes akzeptierten zwar Roberts Entscheidung, eine Katholikin zu heiraten, doch wirkliche Freundschaft hat Marcella mit niemandem aus dem Umfeld ihres verstorbenen Mannes geschlossen. ,,`Sometimes I feel very isolated out here. After Robert was killed I suddenly found I had no friends. Oh yes, they called and did everything they could for me a couple of months. But they were all his friends. Then they just faded...` 4, berichtet sie Cal in einem Gespräch. Sie ist genauso isoliert wie die Mc Cluskeys.
Auch nachdem sie der Norirlandkonflikt zur Witwe gemacht hat, lebt Marcella weiterhin bei ihren Schwiegereltern. Dort fühlt sie sich eingeengt und bevormundet,,`Mrs Morton treats me like a schoolgirl, I suppose. I fight back but she always has the last word. `44 Marcella möchte zwar ausziehen, doch sie kann sich nicht befreien Zum einen kann sie sich nicht gegen ihre Schwiegermutter durchsetzen, die sie immer wieder zum Bleiben überredet. So sagt Marcella, als Cal sie zum Weggehen bewegen möchte ,,`Yes, that sounds so easy. I`ve told her that many times. I wish I wasn`t so weak. I wish I could fight with her and insult her. But if it comes to a crisis she always wins... It`s been a year now, and every time I tell her I`m moving something comes up and she persuades me to stay. For Lucy`s sake. For Grandad`s sake. After Easter.` 45. Zum anderen fühlt sie sich ihren Schwiegereltern, die beide krank sind - Mrs Morton leidet an Parkinson, ihr Mann laboriert an den Folgen seiner Schussverletzungen -, verpflichtet.
Vom Durchschnitt der im Roman dargestellten Personen unterscheidet sich Marcella auch durch ihre Interessen. Sie ist gebildet, sie liebt Bücher und interessiert sich für Kunst. So versucht sie z.B. Cal zum Lesen zu ermuntern und diskutiert mit ihm über Grünewalds Gemälde von der Kreuzigung Jesu. Mit ihrem Sinn für Literatur und Kunst bildet Marcella einen Gegensatz zum tristen Arbeitermilieu, in dem Cal zu Hause ist und in dem man ein Buch nur deshalb zur Hand nimmt, um eine Bombe darin zu verstecken.
Vor allem durch ihre Einstellung zum Nordirlandkonflikt hebt sich Marcella von Cals gewohnter Umgebung ab. Durch ihre Heirat mit einem Protestanten lernte sie beide Konfliktparteien kennen, hat quasi direkten Umgang mit dem ,,Feind. Marcella kennt also beide Seiten und kann sich mit keiner der beiden Parteien identifizieren, da sie sieht, dass Katholiken wie Protestanten Gewalt- und Gräueltaten begehen. Diese Gewalt erschreckt sie und stößt sie ab ,,'That people want physically to hurt one another. I suppose at school it`s the thing to do -young men of the species showing off to become the leader of the herd- but you would think people would grow up.`46 Marcella sieht den Konflikt also mit völlig anderen Augen als die meisten Nordiren, da sie sich keiner der beiden Seiten zugehörig fühlt. Sie schämt sich vielmehr für ihr Land, wie aus einem Tagebucheintrag ersichtlich wird, in dem sie einen Anschlag republikanischer Extremisten auf eine Kneipe in Birmingham kommentiert ,,Last night 1 people died and 00 were injured in Birmingham. A slaying of total innocents - not even the callous excuse of a pub frequented by soldiers. I thougt we should never reach the day of atrocious equivalent to the Arab/Israeli unpleasantness. I am deeply ashamed of my country. From now on I think I will say I am an Italian. 47
Mit Marcella stellt Mac Laverty ein anderes Stück Nordirland vor, einen Menschen, der die Gewalt verabscheut, die in den Six Counties allgegenwärtig war/ist, und für den die unschuldigen Opfer im Vorgergrund stehen und nicht irgendwelche politischen Ziele. Marcella ist eine Frau, der die hassverzerrte Situation so fremd ist, dass sie am liebsten weg möchte ,,'I`d like to go and live in Italy` 48, erklärt sie Cal in einem Gespräch. Damit entspricht sie in gewisser Weise dem Autor selbst, der 17 vor der Gewalt in Belfast floh und mit seiner Familie nach Schottland umzog. In einem Interview mit der taz äußerte er 11 ,,Immer noch sterben Menschen, nur weil sie zu einer bestimmten Gruppe gehöre, zur blauen oder roten Seite, zu den Protestanten oder Katholiken. Jeden Tag stirbt in Belfast ein Mensch. [...] Ich jedenfalls werde nicht hinnehmen, dass Leid und Tod Grundvoraussetzungen für eine Wiedervereinigung Irlands sein sollen. Niemals würde ich eins meiner Kinder dafür hingeben, nur damit Irland wieder eins ist. Das ist eine nationalistische Idee des Hasses, mehr nicht. 4.
Cyril Dunlop - der Oranier
Ein Charakter, der dem Leser wiederum eine völlig andere Sichtweise auf die Situation in Nordirland bietet ist der Vorarbeiter auf der Morton-Farm und eingefleischte Oranier Cyril Dunlop, der exemplarisch steht für die Gruppe der vorurteilsbeladenen, festgefahrenen Protestanten. In direkten Gesprächen mit Cal entlarvt er sich selbst. Sein Rezept gegen den Terror ist so einfach wie brutal ,,'This whole bloody business [der Terror; Anmerkung der Verfasserin] would be cleared up overnight if they brought back hanging. If only they would give the Army a bit of freedom. [...]. Beat the shite out of the bastards.` [...]'And even if they do tramp on a few innocent toes, isn`it better that way than giving the IRA the freedom of the country? Root them out, that`s what I say.` [...]Long Kesh is full of known IRA prisoners, isn't it?`[...]Well, every time a policeman or soldier is shot I would put two of those bastards up against the wall and blow their brains out [...]` 50Als Cal fragt, ob Cyril das selbe Rezept auch auf Protestanten anwenden würde, entgegnet er ,,`Maybe. But it's not the same thing. That's the lunatic fringe. They get mad seeing good men shot down day after day. So would you. When you`re fed up shadow-boxing you sometimes turn and hit the referee.`51 . Cyril zeigt, wes Geistes Kind er ist. Er macht deutliche Unterschiede zwischen den Konfessionen. Er ist nicht so offen und unvoreingenommen, wie er sich Cal gegenüber gerne gibt, z.B. als er Cals Vater lobt. Für loyalistische Terroristen bringt er, ohne mit der Wimper zu zucken, Verständnis auf, ihre republikanischen Gegenüber möchte er am liebsten als Geiseln nehmen und im Falle des Falles erschießen.
Als echter Oranier ist Cyril mit jeder Faser seines Herzens gegen ein vereinigtes Irland. Seine Argumente gewähren Einblick in die Denkweise vieler Orangemen. ,,'And be ruled from Rome? A state told what to do by priests and nuns. Sheer voodoo, Cal. Mumbo-jumbo. Ulstermen would die rather than live under the yoke of Roman Catholicism. Not an inch. It's a good saying.` [...]I`m serious, Cal. I would die rather than let that happen.`.5 Diese Argumentation wirkt auf den ersten Blick für den Leser geradezu lächerlich, da sie der Realität in grotesker Weise widerspricht. Die Kirche und der Vatikan haben seit der Mitte des 0. Jahrhunderts stark an Einfluss verloren, so dass niemand ernsthaft behaupten kann, dass irgendwo auf der Welt ein Staat existiert, der eine Marionette des Vatikan ist. Diese Sichtweise ist ein Überbleibsel der irischen Geschichte und zeigt die uralten Ängste der protestantischen Bevölkerungsgruppe. Die sog. Belagerungsmentalität der Protestanten, die sie als Minderheit seit der Ansiedelung ihrer Vorfahren in Irland entwickelt haben, lässt sie auch heute nicht los. So ist Cyrils Einstellung, so überkommen sie auch scheinen mag, ein bitterer Bestandteil der Gegenwart, der einer Lösung der blutigen Auseinandersetzung im Wege steht.
Dennoch ist der Vorarbeiter nicht so radikal, wie es den Anschein hat. Er fährt zwar verbal schweres Geschütz auf, doch in seinem Verhalten ist er eher gemäßigt. Zum Beispiel hat Cyril immerhin bei seiner Chefin für Cal ein gutes Wort eingelegt und selbst wenn seine zweifellos bestehenden Ressentiments kaum verschleiern kann. Er hätte es ja auch nicht zu tun brauchen. Außerdem überfällt er Cal nicht sofort mit Diskussionen über die politische Situation in Nordirland, sondern vermeidet zunächst Gespräche über Politik, die den Katholiken vor den Kopf stoßen könnten ,,[...]Cal was aware that the other man [Dunlop] was choosing things to talk about which had no connection with religion or politics. They were politely wary of each other.5 . Außerdem ist Dunlop immerhin bereit, nach dem Brandanschlag auf das Haus der Mac Cluskeys zuzugeben, dass auch von Protestanten Seite Unrecht verübt wird ,,'I`ll have to admit, Cal, there's bad bastards on both sides.'54
Was man Cyril außerdem zu Gute halten muss, ist, dass er seinen säbelrasselnden Reden keine Taten folgen lässt. Zwar hätte er keine Probleme damit, IRA-Gefangene an die Wand zu stellen, doch wendet er selbst, soweit man aus dem Roman ersehen kann, keine Gewalt an und ist kein Mitglied einer Terrororganisation. Auch wenn er sich auf Märschen des Oranierordens wie ein stolzer Gockel 55 gebärdet, wie Marcella in ihrem Tagebuch festhält. so geht er selbst für seine Überzeugung nicht über Leichen.
Dunlop verkörpert also den ewig gestrigen Oranier, der seine Vorurteile kaum verbergen kann. Doch immerhin ist er oberflächlich freundlich zu Katholiken, was man im mörderischen Nordirland schon als Fortschritt gelten kann.
Die Nachbarn
Doch es gibt auch Protestanten, deren Freundlichkeit nicht so aufgesetzt wirkt, wie die direkten Nachbarn der Mc Cluskeys. Sie verstehen sich gut mit Cal und Shamie und würden zu ihnen halten, sollten diese aus ihrem Haus ausgewiesen werden ,,They [the Mc Cluskeys] spoke to their near neighbours affably enough but beyond that everyone else in the estate seemed threatening. The Radcliffs and the Hendersons said they would stand by the Mc Cluskeys if it ever came to an eviction.56 . Auch das Verhalten einer Nachbarsfrau nach dem Brandanschlag auf das Heim der Mc Cluskeys zeigt, dass die Nachbarn wirklich mit Cal und seinem Vater fühlen ,,A woman neighbour brought an overcoat and she made Shamie put it on, saying,It makes you ashamed to be a Protestant.`She too was crying.57 Durch die Darstellung der Radcliffs und Hendersons verdeutlicht Mac Laverty, dass es auf beiden Seiten Menschen gibt, die sich dem menschenverachtenden Hass in Nordirland nicht unterwerfen und über die Konfessionsgrenze hinweg Mitgefühl und Wärme zeigen. Es geht also auch anders. Menschen wie die Nachbarn lassen den Leser für die geschundene Region Hoffnung schöpfen.
Die Extremisten
Diese aufkeimende Hoffnung gleich wieder zu zerstören, scheinen sich die Extremisten zur Lebensaufgabe erkoren zu haben. Sowohl auf republikanischer als auch auf unionistischer Seite gibt es Menschen, die den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele für legitim halten.
Skeffington und Crilly
Bei den Katholiken stechen dabei Cals ,,Kollegen in der paramilitärischen Organisation, Crilly und Skeffington, besonders ins Auge. Die beiden stehen stereotypisch für zwei Typen von Extremisten. Skeffington ist ein Lehrer um die Dreißig. Er war Augenzeuge des zweiten Bloody Sunday 17 in Derry und musste miterleben, wie ein alter Mann auf offener Straße verblutete. Das Vertrauen in politische Veränderungen hat Skeffington, der damit exemplarisch für viele katholische Nordiren dieser Zeit steht, verloren. Voller Verachtung spricht er von dem gemäßigten nordirischen Politiker John Hume, dem Führer der nordirischen Sozialdemokraten, der 18 für seine Rolle im Friedensprozess den Friedensnobelpreis erhielt.
Die Konsequenzen, die Skeffington aus seinen Erfahrungen gezogen hat, machen ihn zu einem gefährlichen Terroristen. Der junge Mann ist der Kopf hinter den Aktionen der paramilitärischen Gruppe und von kühlem, berechnendem Fanatismus. Er ist überzeugt von der Notwendigkeit seines Handelns. Deshalb hat er auch keine Probleme damit, Morde oder andere Verbrechen anzuordnen, die er mit perfider Logik rechtfertigt, welcher sich Cal nur schwer entziehen kann ,,`The problem with this kind of thing [Terrorakte der Gruppierung; Anmerkung der Verfasserin] is that people get hurt.`Skeffington leaned forward.But compared with conventional war the numbers a small. I know that sounds callous but it's true. In Cyprus the dead hardly ran to three figures. That's cheap for freedom.`'I have no stomach for it,`said Cal. [...]Do you think any of us have?` Skeffington stared at him.Anybody who enjoyed this kind of thing would have to be sick.But it has to be done - by somebody. Because we have committed ourselves, Cahal, it is our responsibility. We have to make the sacrifices...`[...]You have to steel yourself, Cahal. Think of the issues, not the people. Think of an Ireland free of the Brits. Would we ever achieve it through the politicians ?`58 Dieses Beispiel zeigt deutlich Skeffingtons ,,pragmatische Grausamkeit. Er rechnet die Opferzahlen einfach gegen die Freiheit auf. Ein weiteres Beispiel bringt Skeffingtons Einstellung exakt auf den Punkt. Er vergleicht den Terrorismus in unglaublichem Zynismus mit einem quietschenden Stuhl. Dieses Quietschen wird die Briten irgendwann einmal so ärgern, dass sie sich einen anderen Stuhl als Nordirland suchen werden, d.h. das Land verlassen. Durch Skeffington gewährt sich dem Leser ein Blick in die Denkweise eines völlig fanatisierten Drahtziehers, der Menschenleben einer zweifelhaften Freiheit opfert. Skeffington, der Denker im Hintergrund, ist der skrupellose Drahtzieher,der sich die Hände nicht selber schmutzig macht.
Das ist auch gar nicht nötig, denn dafür hat er ja Crilly. Cals Ex-Klassenkamerad ist der Mann fürs Grobe, der Henker. Menschen zu quälen und zu töten, bereitet ihm keine Bauchschmerzen, sondern eher Freude, wie seine aufgeregte Schilderung der Bestrafung des Jungen, der Skeffingtons alten Herrn überfahren hat, zeigt. Mit dem Bolzenschussgerät des Schlachthofs zertrümmerte Crilly ihm die Kniescheiben - knee-capping wie diese Methode in Nordirland lapidar genannt wird ,,'I`ve never done a knee-capping, but, I says,I`ll have a go. [...] Wallop, wallop. Both knees he wanted, and your man on the ground squealing like a stuck pig with Skeffington sitting on his head.`5 Dass Crilly ein wenig sadistisch ist, zeigt sich, als er und Cal ein off-licence überfallen. Crilly weidet sich an der Angst seiner Opfer und Cal hat Angst, dass er jemanden verletzt. ,,'What did you do to those women?`[Cal asked.]I told them to lie on the floor. [...] They were shaking in their fuckin`high-heel shoes [...]` He [Crilly] was laughing [...].60 Für seine Rolle in der Gruppe wird Crilly von Cal gefürchtet und von Skeffington verachtet, der ihn als Werkzeug betrachtet ,,'There are not many aspects of our culture which interest Mr Crilly. But he`s a useful man. [...] If you`ve a burst pipe you send for a plumber. If you have a war on your hands you send for the Mr Crillys of this world.`[Skeffington said.] 61
Protestantische Extremisten - die Brandstifter
Protestantische Extremisten lernt man im Roman nur aus der Entfernung kennen. Auf ihre individuelle Haltung kann man deshalb nur spekulieren. Ihre Identität bleibt geheim. Sie haben kein Gesicht, nur die Bedrohung, die von ihnen ausgeht, ist allgegenwärtig. Dies verdeutlicht dem Leser die ständige Gefahr, in der die Mc Cluskeys schweben. Die Folgen solch permanenter Bedrohung werden im Roman in Beispielen klar. Cal schreckt zusammen, wenn er draußen ein Geräusch hört, obwohl es nur der Briefträger ist. Seine Vorsicht geht sogar so weit, dass er es sich zweimal überlegt, ob er das Licht einschalten soll. Durch solche Beispiele kann sich der Leser einfühlen, wieviel Kraft es kosten muss, mit der alltäglichen, zermürbenden Angst in Nordirland fertig zu werden.
Durch die Darstellung der vielen verschiedenen Personen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Meinungen zum Nordirlandkonflikt vermeidet der Autor einseitige Schilderungen und verdeutlicht die Vielschichtigkeit und Kompexität des Problems. So bietet er dem Leser die Möglichkeit, sich selbst ein Urteil zu bilden.
Der Nordirlandkonflikt im Spiegel der Beziehung Cal - Marcella
Ein Großteil des Romans beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Cal und Marcella. Auch die Schilderung der Liebesbeziehung nutzt der Autor, um die nordirische Problematik zu verdeutlichen, da sie geradezu symbolisch steht für das Dilemma der geschundenen Provinz.
Die Begegnung zwischen Marcella und Cal wird von Anfang an durch eine Tat aus der Vergangenheit überschattet. Die Mittäterschaft des jungen Mannes beim Mord am Ehemann der Geliebten steht immer als unüberwindbares Hindernis zwischen dem Paar.Weder kann Cal die Tat ungeschehen machen, noch kann er die Erinnerung daran abschütteln oder verdrängen. Immerzu muss er an sein Verbrechen denken ,,His sin clawed at him, demanding attention. He fought it for as long as he could but there was little to distract him except the cold.6 So dominiert die Vergangenheit sein Denken. Ebenso bestimmt sie Cals Zukunft, da sie ein Leben an Marcellas Seite, unmöglich macht. Schließlich verliert er sogar seine Freiheit, weil ihn seine Vergangenheit einholt. Die Macht der Vergangenheit über Gegenwart und Zukunft ist auch charakteristisch für den Nordirlandkonflikt, da ,,It's [Irland] only concerned with the past and the present. The future has ceased to exist for it.6 Ein eindeutiger Beleg dafür, welchen Einfluss längst vergangene Ereignisse auch heute noch haben, sind die alljährlich stattfindenden Oraniermärsche. Der Oranierorden feiert so den Sieg des Protestanten Willhelm von Oranien über den Katholiken James II in der Battle of the Boyne 160. Da die Märsche oft durch katholische Viertel führen, kommt es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen, wenn Katholiken versuchen, die Oranier aus ihrer Wohngegend herauszuhalten. Eine längst vergangene und wohl normalerweise längst vergessenen Schlacht sorgt also auch noch heute für erhitzte Gemüter und blutige Köpfe. Die Vergangenheit steht einer hoffnungsvollen Zukunft im Weg - wie auch bei Cal und Marcella.
Die Beziehung zwischen Cal und Marcella versinnbildlicht zudem die Zerrissenheit Nordirlands.In seiner Liebe zu Marcella ist Cal innerlich gespalten. Einerseits fühlt er sich stark zu ihr hingezogen,doch seine Schuld distanziert ihn gleichzeitig von ihr. Er fühlt sich, als läge ein Universum zwischen ihnen. Dennoch versucht er dieses Universum zu überwinden.
Auch ist er hin- und hergerissen, ihr seine Schuld zu beichten. Alles in ihm sehnt sich danach, Verzeihung von Marcella zu erlangen, doch die Angst vor ihrer Reaktion verhindert ein Geständnis. Wie sehr Cal mit dem Zwiespalt in sich kämpft, wird an einem Beispiel besonders deutlich ,,The more he loved her, the more friendly he became with her, the more afraid he was that he would telll her what he had done. It was the one thing he wanted to talk to her about, to have her console him. He wanted to share his guilt with the person he had wronged. Tocommune with her and be forgiven. He opened his mouth to speak and she waited, listening with raised eyebrows. Cal paused.I would like - another drink,` he said.64 Cal möchte ihr alles sagen und doch wieder nicht. Er ist innerlich gespalten - wie Nordirland, das in zwei sich bekriegende Hälften zerrissen ist.
Ein weiterer Aspekt, der sowohl im Nordirlandkonflikt als auch in der Liebesgeschichte von großer Bedeutung ist, ist die Ausweglosigkeit, die den Nordiren die Hoffnung auf Frieden und Cal die Hoffnung auf ein Leben mit Marcella nimmt. Für das Paar gibt es keine Lösung. Cal steht in einer Sackgasse. Würde Cal die Wahrheit sagen, wäre mit Sicherheit alles zerstört, denn Marcella würde mit dem Komplizen des Mörders ihres Mannes nie zusammenleben wollen. Doch es ihr zu verheimlichen, quält Cal entsetzlich. Es gibt also werder auf die eine noch auf die andere Weise eine Zukunft für die Liebe. Wie man es auch dreht und wendet,die Situation ist ausweg- und hoffnungslos.
Wie auch in Nordirland, wo sich trotz enormer politischer Anstrengungen Katholiken und Protestanten noch immer in unversöhnlichem Hass gegenüber stehen. Jüngstes Opfer des scheinbar niemals enden wollenden Hasses ist ein Belfaster Briefträger, der von loyalistischen Extremisten im Januar dieses Jahres erschossen wurde. Solche Anschläge scheinen denpolitischen Friedensprozess ad absurdum zu führen und machen auf grausame Art und Weise deutlich, dass es auch heute noch keine Lösung gibt.
Mittel der Gestaltung
Den desillusionierenden Eindruck, den der Roman beim Leser hinterlässt, verstärkt Mac Laverty geschickt durch einige Gestaltungsmittel.
Motive
Durch Bilder und Motive gelingt es Mac Laverty, die im Roman vorherrschende düstere Atmosphäre zu verdichten.
Fernsehnachrichten, die der Autor in die Alltagsbeschreibung mit einbaut, verdeutlichen das Grauen des Konflikts. Sie zeigen, wie ernst die Lage im ganzen Land ist. Mit ihren unbewegten täglichen Berichten von Mord und Totschlag fungieren sie als ,,Stimmungsbarometer der Unruhen im Restland und zeigen, wie sehr die Gewalt schon zum täglichen Leben gehört ,,Thenews came on...Two hooded bodies had been found at the outskirts of Belfast; bombs had gone off in Strabane and Derry and Newry but no one had been hurt; there was another rise in coal prices;and finally there was the elephant in Belle Vue Zoo that had to have his teeth filed.65
Bereits im ersten Kapitel verbreitet der Autor eine düstere Stimmung. Cal besucht seinen Vater ausgerechnet im Schlachthof. Es stinkt ekelerregend, man hört das Krachen der Bolzenschussgeräte und sieht die Tiere auf ihrem Weg zur Schlachtbank. ,,The humane killer cracked again and Cal saw the killing pen tip over and tumble a beast to the floor, its leg stiff up to the ceiling. It was immedeatly winched up by one of the hind shanks and its throat cut.66 Mit der unbewegten Schilderung solch blutiger Szenen löst der Autor im Leser eine tiefe Beklemmung aus und stimmt ihn quasi von der ersten Seite an auf die folgenden Grausamkeiten ein.
Der obskure Prediger, der mit seinem klapprigen Fahrrad durch die Gegend fährt ,,nailing tracts made from tin lids to trees and telegraph-poles.67 tritt auch im Schlachthof das erste Mal auf. Schon durch sein Aussehen löst er Unbehagen aus. Er ist bleich, hat ,,the Adam's apple of a vulture68 . Dieses Unbehagen wandelt sich in Verstörung um, als der Leser erfährt, dass der Mann als Arznei gegen seine Blutarmut das Blut der frisch geschlachteten Tiere trinkt. Auf diese Weise wird von Beginn an eine Verbindung zwischen Religion und Blut und Tod hergestellt. Dadurch wird die nordirische Problematik indirekt bewusst gemacht.
Auch das weitere Auftreten des Predigers im Verlaufe der Handlung wirkt unheimlich. Die Plakate, die er überall in der Gegend an Bäume nagelt, erscheinen entweder höhnisch oder als düstere Vorausdeutungen. Das Bibelzitat ,,'The Wages of Sin is Death.` 6 muss auf den schweren Sünder Cal wie eine Drohung wirken.
In einem Moment, in dem Cal die grausame Realität des Nordirlandkonflikts besonders bewusst wird - er findet die blutigen Überreste einer Kuh, die von einer Landmine zerfetzt wurde, verkündet das Plakat salbungsvoll ,,The Kingdom of God is within You.70- was in dieser Situation einfach zynisch wirkt.
Auch kurz vor seiner Verhaftung trifft Cal den Prediger wieder, der sich diesmal wie ein Untergangsapostel gebärdet. Er predigt von den Passanten unbeachtet auf der Straße. ,,Repent ye; for the kingdom of Heaven is at hand71, steht auf seiner Schürze, er krakeelt, ,,Without the shedding of blood there can be no forgiveness.7 Diesen letzten Satz kann man nur als bösartigen Hohn empfinden. In Nordirland, wie auch im Roman selbst, beweist es sich schließlich, dass Blutvergießen keine Lösung ist, geschweige denn zu Vergebung führt.
Mit der Figur des vermutlich verrückten Predigers verdeutlicht der Autor also sehr gut den absurden Irrsinn der Situation in Nordirland.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie es dem Autor gelingt, im Leser ein beklemmendes Gefühl wach zu rufen, ist die Schilderung von Grünewalds Gemälde von der Kreuzigung Jesu. Marcella schildert Cal, welch bleibenden Eindruck das Bild auf sie als Kind gemacht hat ,,`It was a painting. And it was the first thing like that which had any effect on me. It was by a man called Grünewald [...] I stood there and stared at it for so long the teachers lost me and had to come back for me. The pain in it is terrible. Not like our Walt Disney mural.'7 Später hat Cal Gelegenheit, sich selbst ein Urteil zu bilden, denn er schenkt Marcella zu Weihnachten ein Taschenbuch über Grünewald, in dem auch die Kreuzigungsszene abgebildet ist ,,The weight of the Christ figure bent the cross down like a bow; the hands were cupped to heaven like nailed starfish; the body with ist taut ribcage was pulled to the shape of an egg-timer by the weight of the lower body; the flesh was diseased with sores from the knotted scourges, the mouth open and gasping for breath. 74Bei dem hier beschriebenen Bild handelt es sich um die Mitteltafel des sog. Isenheimer Altars, des wohl berühmtesten Werks Grünewalds. Im Du Mont Kunstführer ist darüber zu lesen ,,In keinem anderen Werk dieser Zeit haben Grausamkeit und Leid, Verzweiflung und Hingabe einen ergreifenderen Ausdruck gefunden als in der Kreuzigung Christi des Isenheimer Altars um 151-15 von Mathis Nithart Gothart, genannt Grünewald (um 1475 - 158). Der Leichnam Christi hängt in übermenschlicher Größe vor dem Dunkel einer nicht endenden Nacht, die die Erde als düstere Stätte des Todes erscheinen lässt, der im Opfer des Menschensohnes seinen höchsten Triumph feiert. Mit grauenhafter Deutlichkeit werden die schwärenden Wunden der Geißelhiebe gezeigt und das unsägliche Leid in dem herabgesunkenem Kopf mit der Dornenkrone, in dem in Todeskrampf verzerrten Füßen und Händen. Die Wirklichkeitstreue der Schilderung erreicht einen Grad, wo sie ins Unheimliche umschlägt [...]75. Das Bild wirkt auf den Betrachter eindeutig verstörend, was Mac Laverty durch die genaue Schilderung auch auf den Leser überträgt. Durch das ungeheure Leid, das dieses Werk ausdrückt, entsteht eine Atmosphäre des Unheils und der Gewalt. Grünewalds Altarbild von der Kreuzigung Christi steht symbolisch für die Situation in der geschundenen Region, in der das Leid, das Grünewald so klar ausdrückt, auch heute noch gegenwärtig ist.
Sprachliche Mittel
Neben gestalterischen Mitteln verstärken auch sprachliche Mittel die Wirkung des Romans.
Mac Laverty ist ein vielgerühmter Kurzgeschichtenautor, der seine Schriftstellerkarriere mit dem Verfassen von Kurzgeschichten begann. Dies hat seinen Schreibstil sehr geprägt. Auch Cal ähnelt auf Grund von Sprache und Aufbau einer Kurzgeschichte. Dies hat auch der Kritiker Terence de Vere White bemerkt, den der Roman als echte Kurzgeschichte noch mehr beeindruckt hätte ,,This novel could have been a short story; its impact would have been even stronger.76 Neben dem unmittelbaren Beginn, der knappen Darstellung und dem offenen Schluss verfügt der Roman über einen Wendepunkt in der Handlung - alles Elemente einer Kurzgeschichte, die zu der beklemmenden Authentizität des Romans beitragen.
Auch die nüchterne, ungeschminkte Sprache,die an bekannte Kurzgeschichtenautoren erinnert wie z.B. Hemingway, sticht sofort ins Auge,,Die Sprache bleibt einfach, unprätentiös, allen schmückenden oder emotionalisierenden Adjektiven misstrauend [...]77. Immer sachlich und neutral beschreibt der Autor die Vorgänge. Auch bei der Erzählung grausamer Szenen (wie z.B. der oben erwähnten Schlachthausszene) bleibt eine Distanz und Objektivität erhalten, die nach H.G Pflaum die Bannkraft des Romans noch verstärkt. In einem Artikel in der SZ 185 schreibt der Kritiker ,,Je nüchterner er [der Autor] davon berichtet, desto intensiver wird die emotionale Qualität seiner Sprache; auch darauf beruht der Reiz dieser Erzählungen78.
Ein Mittel, durch das der Autor seinen Figuren Leben einhaucht, ist der häufige Einsatz der wörtlichen Rede.Sie bietet die Möglichkeit, die Unterschiede zwischen den Figuren zu unterstreichen und ihnen durch ihre unterschiedliche Ausdrucksweise persönliche Konturen und Züge zu verleihen. Bestes Beispiel hierfür sind Crilly und Marcella Mac Laverty hat die beiden Charaktere grundverschieden angelegt Marcella, die intellektuelle, liberale Kunstliebhaberin, und Crilly, der sadistische ,,bully7. Dieser charakterliche und intellektuelle Unterschied drückt sich auch in der Sprechweise der beiden aus. Crilly redet in einfachen Sätzen, benutzt umgangssprachliche Ausdrücke und flucht auch öfter derb, z.B. tituliert er Robert Morton als ,,big fucker80. Marcella dagegen drückt sich gewählt aus. Sie redet meist nach der Schrift, Schimpfwörter kommen ihr nie über die Lippen. Die Unterschiede zwischen den Charakteren werden bereits durch die Sprachkompetenz deutlich.
Das Benutzen der Umgangssprache hat noch einen Nebeneffekt. Die Arbeiter Cal, Shamie, Crilly und Cyril sprechen alle kein korrektes Englisch, sondern ,,wie ihnen der Schnabel gewachsen ist - wie man in nordirischen Arbeitervierteln eben spricht einfach, derb, und nicht immer salonfähig. Bester Beweis sind die mannigfaltigen Flüche und Schimpfnamen, die den Figuren im Laufe der Handlung entschlüpfen. Ob ,,arselicker81, ,,fucker8 oder (schon fast dezent) ,,crawler8 - die feine englische Art ist das zwar nicht, doch lässt diese Sprache die Personen wesentlich authentischer und somit glaubwürdiger erscheinen.
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